Montag, 7. März 2016

Erhobener Zeigefinger



Emme war in der Ausstellung “Fast Fashion” im Deutschen Hygienemuseum. Die Ausstellung soll der Beschreibung nach zeigen, warum Mode Spaß macht und welche Schattenseiten unser unmäßiger Textilkonsum hat. Dazu gab es am Sonntag einen Tag der Offenen Tür mit DIY, Upcycling, Öko-Mode und politischen Aktionen. Das groß angekündigte Begleitprogramm erwies sich als müde: Perlen auffädeln für Freundschaftsbänder und Fadengrafik. Bei aller Liebe: Das hat Emme schon in ihrer Unterstufenzeit angeödet.

 

Die Öko-Mode waren kastenförmige 80er-Jahre-Teile in schickem Graublau. Also genau die Kleider, die damals aus alten (und wenn man sie bekam) neuen Bettlaken zusammengeschustert wurden.


Emme fragte dann die jungen Frauen am Nachbarstand, ob sie das schick fänden. Mehr als ein “Äh…” bekamen die Mädels nicht heraus.
Die politischen Aktionen bestanden aus einem Info-Stand der Kampagne für saubere Kleidung, die sich für einen Existenzlohn von Näherinnen einsetzt.
Die Ausstellung sollte im “Prolog” Haute Couture zeigen. Das waren zwar Kleider vom Designer, sie gehören aber doch eher zur hochpreisigen Konfektion… (Leider: Fotografieren verboten!)
Und dann wurden die Besucher von Konsumentenschelte überschwemmt:  Wie Näherinnen weltweit ausgebeutet werden!


Die Nicht-Nachhaltigkeit! Die Frachtkosten! (Weil doch in Deutschland so viel Bio-Baumwolle wächst!) Die Umweltzerstörung! All das Elend! Der betroffene Museumsbesucher soll sich doch bitte vor Scham die Kleider vom Leibe reißen und mit gesenktem Kopf nackig nach Hause laufen!

Paolo Woods: PEPE

Im zweiten Teil der Ausstellung wurden alte und innovative nachhaltige Materialien und Textilien aus sächsischer Produktion vorgestellt. 
Interessant, weil fast nicht mehr hergestellt: Stoff aus Brennesselfasern. (Brennesseln konnte man bis zum Beginn der 60er Jahre noch beim Altstoffhändler abgeben.)

Aufruf zum Sammeln von Brennesseln, 1918, Kreismuseum Grimma

Ob Daunen aus ehemaligen PET-Flaschen wirklich ökologisch sind, wagt Emme zu bezweifeln. Wahrscheinlich wurden die Weichmacher “weggezaubert”.

 

Es gab auch ein paar schicke Industriemaschinchen zu sehen. Näher bezeichnet wurden sie nicht. Sind doch aus einem untergegangenem Land…



 


Und das Publikum? Erschien hauptsächlich in intellektuellem Schwarz (Ihh, Giftstoffe!) und in Konfektion (Ohh, Ausbeutung!). Außer Emme hatte nur noch eine Dame etwas Selbstgenähtes an.

Liebe Ausstellungsmacher, vom Hygienemuseum sind wir Besseres gewohnt. Man denke an die tollen Präsentationen: “Das ganze Leben” und die Ausstellung über Arbeit. Ein erhobener Zeigefinger gegen die (vor allem weiblichen) Besucher ist keine Lösung. Oder plant Ihr demnächst: “Fast and Furious: Die Schattenseiten der Automobilindustrie?” (Mit x-tausend Verkehrstoten weltweit etc.) Und vielleicht wäre es auch gut gewesen, zu zeigen, wer wirklich hinter den Konzernen steckt und wer am Textilwahn wieviel verdient. 

Auf dem Nachhauseweg dachte Emme ernsthaft darüber nach, ob sich die Museumsführerin heute abend nach dem Duschen mit dem hochgelobten Leinenhandtuch ihrer Großmutter abtrocknet. Oder ob sie doch zum Frotteebadetuch greift…


Euer Hase

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