Mittwoch, 18. Dezember 2019

Edmund de Waal



Seit ich in Emmes Leben getreten bin, liest sie Hasenbücher. Tiergeschichten waren ja nie ganz so ihr Ding, aber mir zuliebe hat sie sich damit beschäftigt. Dabei entdeckte Emme, daß es eine eigene literarische Gattung und unendlich viele philosophische Strömungen gibt, die (fast) alles auf uns Hasen projizieren. Dabei wollen wir nur fröhlich durch die Welt hoppeln und Möhren knabbern!
Es gibt bissige satirische Hasenliteratur, Road trips (Arto Paasilinna: Das Jahr des Hasen), sentimentale Kinderbücher mit manchmal fragwürdigen Grundaussagen, unseren Liebling "Der kleine Angsthase"von Elizabeth Shaw" und natürlich "Der Hase im Rausch".


Aber egal, eines der besten, ergreifendsten und traurigsten Hasenbücher des letzten Jahrzehnts schrieb Edmund de Waal, der eigentlich Keramiken herstellt. In „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ geht es gar nicht um Hasen, sondern um Netsuke. Das sind Miniaturen, die im alten Japan am Gürtel des Kimonos getragen wurden. Aufwändig aus verschiedensten Materialien geschnitzt, kamen sie am Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa und wurden begehrte Sammlerobjekte.
Edmund de Waal beschreibt anhand einer Netsuke-Sammlung seine Familiengeschichte. Die kleinen Schnitzereien wechselten die Orte und die Kontinente. Sie wechselten ihre Funktion, vom Gebrauchsgegenstand zum Handelsobjekt, von der Salonunterhaltung zum Kinderspielzeug. Sie wurden innerhalb der verzweigten Familie verschenkt, vererbt, gerettet und sind am Ende das letzte Überbleibsel eines einst riesigen Familienvermögens.
Edmund de Waal hat jahrelang recherchiert und ist weit gereist, um die verschlungenen Wege der Netsuke und ihrer Besitzer nachzuvollziehen. Herausgekommen ist ein dickes Buch, wir empfehlen uneingeschränkt: Selber lesen!
Wir trafen Edmund de Waal auf einer Lesung in der Zentralbibliothek Dresden. Er ist ein riesenlanger Kerl, dem man gar nicht zutraut, so etwas Feines wie Keramik oder Porzellan herzustellen. Er las ganz ruhig und mit englischem Humor aus seinem Buch, die deutschen Texte las Ahmad Mesgarha von Staatsschauspiel Dresden, die Moderation erfolgte durch Tino Dallmann von mdr kultur.
Es war erstaunlich, wie unterschiedlich die Texte auf Deutsch und Englisch klangen. Klar, ein Schauspieler liest anders und Spaß machte das Zuhören auf jeden Fall. Richtige Gespräche entstanden nicht, der Moderator stellte die Fragen, die wohl die meisten interessierten. Fragen zur Entstehung des Buches, zur familiären Unterstützung, zur Restitution, zu literarischen Verweisen und zur Möglichkeit, sich bei Recherchen bis ins Unendliche zu verlieren. Und Emme hätte natürlich -wie immer- noch tausend Fragen gehabt und alle Beteiligten bis Mitternacht auf Trab gehalten.


Trotzdem war das eine spannende Begegnung mit einem bescheidenen und zurückhaltenden Autor, der eigentlich zur Ausstellungseröffnung „library of exile“ nach Dresden gekommen war.

Emme, gehen wir dahin?
Natürlich, Hase.
Und wir schreiben da auch was drüber?
Aber klar!

Und da wir uns ja gerne in der Weltgeschichte herumtreiben, folgt nun noch das Reiseerlebnis passend zum Thema:
Vor einigen Jahren waren wir in London und dort im Victoria & Albert Museum. In diesem riesigen Gebäude kann man so viel sehen, daß man den Besuchern eine Liste der zehn wichtigsten Ausstellungsstücke inklusive Wegbeschreibung in die Hände drückt. Als eines der Highlights wurde dort die Besichtigung einer Installation von Edmund de Waal angepriesen.




Leider war sie an diesem Tag nicht zugänglich, da ein Sponsorenempfang stattfand. Emme fragte die Volontärin, die im Eingangsbereich Dienst tat:
Die Installation ist von Edmund de Waal, dem Schriftsteller?“
Nein, sie ist von Edmund de Waal, dem Keramiker.“
Ja, er macht auch Keramiken. Aber er ist Schriftsteller. Er hat einen europäischen Bestseller geschrieben!“
Es kann sein, daß er ein wenig schreibt. Aber er ist ein berühmter Keramiker!“
Ja, jeder weiß das, was er wissen will. Und dann gibt es Menschen, die mehr als eine Sache machen können, und das auch noch richtig gut!
 
Viel Spaß beim Lesen! Taschentücher bereitlegen!
Euer Hase

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